Sexarbeiter_innen gründen Berufsverband

Ein Artikel für die Dezemberausgabe der DHIVA (Das Magazin für Frauen zu Sexualität und Gesundheit).

Ein Teil der Gründungsversammlung des BESD

„Sobald einer von uns für euch eintritt, heisst es: der geht doch bloss selbst in den Puff. Ihr müsst unbedingt eure eigene Lobbyarbeit machen!“ erklärte uns ein wohlwollender Bundespolitiker in einem persönlichen Gespräch kurz vor der Sommerpause.

Und es ist wahr: Weltweit gibt es fast überall nationale Hurenverbände und Interessenvertretungen. Nur in Deutschland haben wir uns seit 2002 auf dem Prostitutionsgesetz ausgeruht. Zu gemütlich war’s: Die Sittenwidrigkeit der Verträge mit unseren Kunden war zumindest nicht mehr automatisch gegeben, und nach dem Wegfall des Paragraphen gegen die Förderung der Prostitution fingen „ganz normale“ Geschäftsleute an, in ansprechende Bordelle mit guten Arbeitsbedingungen zu investieren. So konnte es weitergehen!

Das ist bloss leider nicht passiert. Nicht nur, dass keine Weiterentwicklung oder Anpassung der restlichen Gesetzgebung erfolgte, in vielen Bundesländern und Kommunen ist selbst das Prostitutionsgesetz an sich nie wirklich umgesetzt worden. Der Anerkennung als Freiberuf im Bau- Gewerbe- und Steuerrecht sind wir kein bisschen nähergekommen. Die Sperrgebietsverordnungen bedeuten immer noch ein faktisches Berufsverbot in vielen Kommunen. Und nach wir vor ist die Polizei die für uns zuständige Behörde, die in vielen Bundesländern Sonderbefugnisse an allen Orten der Prostitution hat und diese ausgiebig nutzt – nicht immer zum Wohle der Sexarbeiterinnen, die sich in verdachtsunabhängigen Razzien nicht selten wie Verbrecher behandelt fühlen.

Und plötzlich ging es nicht nur nicht weiter, sondern die Stimmen in Presse und Politik wurden immer lauter: Das Prostitutionsgesetz ist gescheitert! Der Staat fördert Ausbeutung und Menschenhandel! Für ein Europa ohne Prostitution!

Da sind einige von uns jäh aufgeschreckt aus unserem Dornröschenschlaf. Wir fanden Mitstreiter_innen, die ebenso besorgt waren wir wir, bundesweit. Trafen auf erfahrene Vorreiterinnen, Frauen der ersten und zweiten Welle der Hurenbewegung, die schon fast aufgegeben hatten. Fanden Unterstützung in Beratungsstellen, Gewerkschaften, Parteien, manchmal von überraschender Seite. Und so haben Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter aus dem ganzen Bundesgebiet – Escorts, Tantramasseur_innen, Straßenstrich-Frauen, Wohnungs- und Bordellprostituierte, Dominas und Callboys – nach gut einem halben Jahr intensiver Vorbereitung im Oktober den „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“ gegründet.

„Der bundesweite Verband verfolgt das Ziel, die Arbeits- und Lebensbedingungen von
Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern zu verbessern. Er möchte über die unterschiedlichen Aspekte von Prostitution informieren und gegenüber Politik, Medien und Öffentlichkeit ein realistisches Bild der Sexarbeit vermitteln. Damit will er der Diskriminierung und Kriminalisierung von Menschen in der Sexarbeit entgegen wirken.“

Eigentlich wollten wir nur in Ruhe arbeiten. Aber das, was wir da aus der Taufe gehoben haben, ist schon jetzt mehr als nur eine Zweckgemeinschaft. Wir freuen uns auf viele weitere engagierte Mitglieder und Unterstützer_innen!

www.sexwork-deutschland.de

Ale Ergänzung eine Linksammlung zur Arbeit unseres Berufsverbandes.

3 Kommentare:

  1. Hallo Undine,

    ich gratuliere euch zu diesem engagierten und mutigen Schritt.

    Ich wünsche euch viel Erfolg!

    G.

  2. Martin Ambrosius Hackl

    I.
    Ich begrüße die Gründung sehr! Aus Anlaß der Berichterstattung habe ich mir sowohl den Website von Ihnen, als auch den von Johanna Weber angeschaut und bin sehr davon eingenommen.

    Ich denke ähnlich wie bei der LGBT-Bewegung wird es auf Dauer nur zu ernsthafter Emanzipation in die Gesellschaft kommen, wenn mehr Frauen (und Männer), die Ihrer Tätigkeit nachgehen, selbstbewußt damit an die Öffentlichkeit gehen. die Gesselschaft muß aufhören nur ü b e r sie reden und damit anfangen m i t Ihnen zu reden. Sowohl menschenverachtenden „Männer-Gesprächen“, in denen Huren oft genug tatsächlich auf eine bloße Funktion reduziert, und als Objekt behandelt werden, als auch dogmatischen, paternalisierenden Diskursen, die die Möglichkeit einer freien Entscheidungsfähigkeit von Sexarbeiter_innen auf ignorante Weise ausschließen, müssen v.a. Frauen entgegentreten, die Ihren Anliegen ein stolzes u n d faßbares Gesicht geben. (Niveau ist natürlich auch nicht zu unterschätzen.)

    Die Art und Weise, wie sie mir auf Ihren jweiligen Webseiten entgegentreten, scheinen mir dazu sehr geeignet.

    II.
    Schade finde ich es, daß es bisher für Menschen, die nicht als Sexarbeiter_innen arbeiten – und es auch nicht vorhaben 😉 – lediglich die Möglichkeit gibt, Sie finanziell zu unterstützen. Daß ein unmittelbarer Beitritt zu Ihrer Vereinigung nicht vorgesehen ist, mag durchaus plausible Gründe haben. Möglicherweise machte es aber Sinn, an eine Art Unterstützerkreis zu denken, in den auch ‚Außenstehende‘ eintreten könnten – sowohl Freier, als auch andere Menschzen, die es als Teil eines bürgerschaftlichen Engagements für die freie Gesellschaft betrachten, eben auch Ihre Rechte zu vertreten & unterstützen.

    Vielleicht ist das ja eine hilfreiche Anregung. Ich könnte mir in jedem Falle vorstellen, darin Mitglied dann zu werden. Sowohl Prostitution, als auch ihre Befürwortung müssen aus der Verschämtheit heraustreten!

    • Hallo Martin,

      vielen Dank für deine Unterstützung! Zum Beispiel endlich eine „Freierbewegung“ würde ich sehr begrüßen und auch unbedingt auf eine politische Kooperation hinwirken – genauso wir wir mit wohlwollenden Bordellbetreibern zusammenarbeiten, schließlich ziehen wir in vielen Aspekten am gleichen Strang. Ob es für einen Zusammenschluss von aussenstehenden Unterstützer_innen unseres Berufsverbandes eine sinnvolle Rechtsform gibt, die wir initiieren können, prüfen wir gerade.

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