Wie überwachungsbedürftig sind wir?

Zuletzt hat der europäische Rat am 21. März 2011 eine Richtlinie erlassen, nach der Delikte im Zusammenhang mit Menschenhandel, bei denen Zwangsarbeit und sexuelle Ausbeutung unter Anwendung von Gewalt, Täuschung oder Zwang eine Rolle spielen, schneller verfolgt, härter sanktioniert und die Opfer besser geschützt werden sollen. Die Vorgaben der Richtlinie sollen innerhalb von 2 Jahren in allen Mitgliedsstaaten außer Großbritannien und Dänemark, die ihre bestehenden Gesetze als ausreichend erachten, Anwendung finden.

[Quelle: Auswärtiges Amt]

Nachdem die Bundesregierung die Umsetzung dieser EU-Richtline zwei Jahre lang munter verschleppt hatte, tauchte letzte Woche aus der Koalition plötzlich ein Gesetzesentwurf (Bundestagsdrucksache 17/13706) aus dem Nichts auf. Nach einigen Seiten zur Änderung des Strafgesetzbuches, so dass nun auch Menschenhandel zum Zwecke der Bettelei und des Organhandels verboten werden soll (hätte ich vorher gewusst, dass das bisher erlaubt war, hey, ich wäre reich geworden!) mogelt sich auf Seite vier eine kurze „Änderung der Gewerbeordnung“ dazwischen, bevor es wieder um eine Änderung der Strafprozessordnung geht, nach der zukünftig nicht nur Ausbeutung der Arbeitskraft, sondern auch „andere Ausbeutung“ geahndet werden kann.

Diese kleine Änderung der Gewerbeordnung stuft diffus spezifizierte „Prostitutionsstätten“ flugs als „Überwachungsbedürftiges Gewerbe“ ein, und, das schönste: „Die zuständige Behörde kann (…) den Gewerbebetrieb von bestimmten Auflagen abhängig machen, soweit dies zum Schutz der Allgemeinheit, der Kunden, der Prostituierten oder der Bewohner des Betriebsgrundstücks oder der Nachbargrundstücke vor Gefahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen erforderlich ist.“

Ich bin mir todsicher: Das ist endlich die Antwort auf alle Probleme der Sexindustrie. Keinesfalls wird damit neben der Polizei, der Baubehörde und den Finanzbehörden, nun auch noch der Gewerbeaufsicht die Möglichkeit gegeben, unsere Läden jederzeit mit absurden Begründungen dicht zu machen. Wobei es ein echter Fortschritt wäre, uns endlich anstelle der Polizei dem Gewerbeamt zu unterstellen. Stattdessen bekommen wir jetzt doppelten „Schutz“. Ein Schelm, wer darüber spekuliert, wie häufig es bei den erwähnten Auflagen in der Praxis wohl um die Befindlichkeiten der Bewohner der Nachbargrundstücke gehen dürfte.

Ein Blick nach Wien, wo seit einiger Zeit solche „Auflagen“ erfüllt werden müssen, lässt nichts Gutes erahnen. Eine Beratungsstelle berichtet:

Bei uns melden sich nahezu täglich verzweifelte BetreiberInnen, die nicht verstehen, welche Auflagen sie erfüllen müssen.

Als Beispiel: Einem Club (den ich kenne) wurde bereits zum 2. Mal wegen der Alarmanlage die Abnahme behördlich verweigert. Es wurde vor den Begehungen jeweils eine neue Anlage gekauft und auch installiert (Kosten jeweils ca 800,-). Wie gesagt: Auch die 2. Anlage wurde nicht genehmigt – ALLERDINGS ohne der BetreiberIn zu sagen, „welche sie denn überhaupt benötigen würde!“ Die Auflagen sind nirgendwo einsehbar und somit ist man hier definitiv der Willkür der Kontrollierenden (die scheinbar Niemand kontrolliert) ausgesetzt…

Ein weiterer Fall, für den ich mich verbürge: Einer LokalbetreiberIn wurde als Auflage „Ein Esstisch mit 4 Sesseln – und ein Couchtisch geht nicht“ auferlegt… Das Lokal hat eine Gesamtgröße von ca 20 Quadratmeter und sperrt um 21 Uhr (!) auf… wozu man denn da einen Esstisch brauchen würde, ist bis jetzt noch nicht erklärt worden.

Ein Dominastudio in Wien (ca 180 Quadratmeter groß) benötigt jetzt 3 WC-Anlagen (kann man nicht finanzieren) obwohl nur eine SexarbeiterIn dort arbeitet….

Von „schalldichten Fenstern, damit man die Lustschreie (das Lokal befindet sich natürlich weitab von jedem Wohngebiet in der absoluten Einsamkeit) auf der Straße nicht hören würde…..“ könnte ich auch berichten.

Oder von Lokalen, die bei jedem einzelnen Zimmer einen Feuerlöscher brauchen (gibt es in keinem einzigen öffentlichen Gebäude in Wien) um erlaubt zu werden.

Ein Lokalbetreiber musste mehrfach Feuerlöscher kaufen, bis man ihm dann mitteilte, „dass er es mal mit einem 9kg Gerät versuchen sollte“ (wie gesagt: Die Infos, was steht in den Auflagen, was braucht man um das Gesetz zu erfüllen, sind öffentlich nicht einsehbar) – Alleine die Kosten von diesem Betreiber sind jenseits der 20 000 und keine einzige der gemachten Auflagen scheint für uns einen Sinn für Sexarbeit zu machen….

Mittlerweile denken wir darüber nach über diese Fälle die österreichische Volksanwaltschaft zu informieren, da wir hier eine definitive Fehlleistung sowohl von Seiten der Gesetzgebung als auch von den vollziehenden Beamten vermuten. Das Problem ist dabei: Wenn die auf „stur schalten“ sperren sie die Lokale, bei welchen das Verfahren noch nicht abgeschlossen wurde, sofort zu, um die Aufmüpfigen zu sanktionieren. Laut Gesetz müsste eigentlich jedes Lokal, welches nicht rechtskräftig konzessioniert wurde seit 1.11. vorigen Jahres geschlossen sein…..

Ich hoffe noch immer, dass sich andere Länder an den unfassbaren Ereignissen in Wien kein Beispiel nehmen.

Und das alles nun, das wollen wir nicht vergessen, im Zuge der Umsetzung einer EU-Richtlinie zur Eindämmung von Menschenhandel! Nachdem Prostitution aber ja praktisch dasselbe ist, regulieren wir da eben auch noch ein bisschen dran rum, passt schon.

Natürlich gibt es die „ganz normale Ausbeutung“ auch in unserem Gewerbe: Überhöhte Bordellmieten, geizige Kunden, wenig selbstbewusste junge Frauen, die andere zu ihrem Vorteil versuchen unselbständig zu halten. Und es gibt die Straftat Menschenhandel – lt. BKA einige hundert Fälle pro Jahr.

Bei „Menschenhandel“ haben die Leute immer das Bild im Kopf von der Bulgarin, der in Deutschland ein Job als Kellnerin versprochen wird, und die hier dann in einem dunklen Keller festgebunden und gegen Geld vergewaltigt wird. Die dann in Tränen der Polizei um den Hals fällt, wenn sie befreit wird. „Menschenhandel ist ein Kontrolldelikt wie Schwarzfahren“ heisst es (was für ein widerlicher, zynischer Vergleich) – wenn keine Kontrollen stattfinden, dann wird nichts aufgeklärt, denn die Opfer schweigen natürlich aus Angst.

Fakt ist, dass von den wenigen hundert Menschenhandelsfällen, die es jährlich gibt, ein Drittel deutsche Frauen zwischen 18 und 21 sind, die, wenn jemand sie beim Einstieg in die Sexarbeit unterstützt, automatisch auch ohne jeden Zwang als Opfer von Menschenhandel in die Statistik eingehen. Fakt ist ebenfalls, dass über zwei Drittel der Anzeigen von den Opfern und deren Umfeld eingehen. Durch proaktive Polizeikontrollen und Razzien finden sich ganze 2% der Fälle!

Der „typische“ Menschenhandelsfall ist eine Mischung aus (einvernehmlicher) Schleusung und eskalierendem Streit über das Honorar der Schleusung, oder aus freiwilligem Einstieg in die Sexarbeit plus Verlieben in den falschen Typen, der von ihrem Einkommen profitiert und Druck ausübt, wenn die Frau weniger oder anders arbeiten will, als er das gerne hätte. Da bringen Polizeikontrollen genau null, und Kontrollen der Gewerbeaufsicht bloss noch nuller.

Ich war in den letzten drei Tagen auf einem hervorragenden Ausbildungsseminar zur „ProfiS“-Trainerin. Das „ProfiS“-Konzept ist ein Weiterbildungs- und Professionalisierungsprogramm für Sexarbeiterinnen in Bordellen, finanziert von der Deutschen Aidshilfe. Die Trainerinnen gehen in die Läden und halten dort im laufenden Betrieb je nach Bedarf der anwesenden Sexarbeiterinnen Workshops zu Gesundheits-, Rechts- und Steuerfragen, thematisieren professionelle Abgrenzung, Preisgestaltung, Arbeitsweisen, Lebensplanung etc.

Genau sowas ist es meiner Meinung nach, was hilft: Empowerment, Selbstbewusstsein durch Professionalisierung und Macht durch Wissen statt staatlich verordneter Zwangsrettung.

Wir haben übrigens mit enorm viel persönlichem Einsatz und massivem Druck in den letzten Tagen maßgeblich dazu beigetragen, dass der genannte Gesetzesentwurf nicht mal eben noch schnell vor der Sommerpause durchgewunken wurde, sondern es in zwei Wochen erst einmal eine Expertenanhörung für den Rechtsausschuss gibt. Für die Vorbereitung dieser Anhörung sind wir nun eingeladen. Damit ist die Gefahr unsinniger Regelungen, die uns schikanieren statt zu helfen, noch lange nicht gebannt, aber es ist ein ganz hervorragendes erstes Ergebnis. So soll Demokratie funktionieren …

Weiterführende Links:

Blogbeitrag der Kollegin Carmen mit tiefergehenden rechtlichen Details
Briefe an die Abgeordneten von Sexwork Deutschland und der Beratungsstelle Dona Carmen

Bitte unterstützt unsere Petition: Mehr Rechte und Respekt für Sexarbeiterinnen!

3 Kommentare:

  1. Hallo Undine,
    es ist einfach nur widerlich, was das allgemeine Wohlanständigkeitskartell so alles aufbietet, um Sexarbeit zu kriminalisieren, denn um nichts anderes geht es doch: Für den durchschnittlichen Gutmenschen ist Sexarbeit schlicht und einfach böse. Und Böse muss weg. Unter dem Deckmäntelchen des Schutzes der tatsächlich oder vermeintlich Schwachen (die oft zitierten „Frauen und Kinder“), der Volksgesundheit und (ganz, ganz wichtig!) des bürgerlichen Ruhebedürfnisses soll der „Sumpf der Prostitution“ trockengelegt werden. Nun, wenn schon trockenlegen, dann doch lieber an der richtigen Stelle, nämlich in den eigenen Köpfen, wo schon viel zu lange eine unbekömmliche Mischung aus „hoch-“ religions- und sonstwie kulturbedingter Triebverleugnung, Sexualangst und -feindlichkeit vor sich hin gärt.

    Ich nehme mal an, dass so mancher brav-empörte Bordellanwohner, sich nicht an das Etablissement in seiner Nachbarschaft wendet, sondern einen etwas weiteren Weg auf sich nimmt, um sich diskret des Drängens seiner unerwünschten (aber leider nicht zu ignorierenden) Triebe zu entledigen.

    Da sich die Sexualfeindlichkeit aber nicht offen zeigt, sondern sich hinter einem Wust vorgeschobener Argumente und dem „gesundem Volksempfinden“ verbirgt, bleibt Euch SexarbeiterInnen gar nichts anderes übrig, als mitzuspielen und unter Mühen systemkonforme Gegenstrategien zu entwicklen. Selbstverständlich seid Ihr nicht überwachungsbedürftig, auf jeden Fall nicht mehr, als der Backshop an der Ecke.

    Mir ist klar, dass meine wohltönenden Worte keine Hilfe sind. Anders sähe es aus, wenn sich alle diejenigen, die Tag für Tag Eure Dienstleistungen in Anspruch nehmen, sich auch offen dazu bekennen würden. Dann würde nämlich klar, dass Sexarbeit nicht nur „in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist“, sondern dort schon immer ihren Platz hatte. Eine imaginäre „Vereinigung puffgehender Ordnungsbeamter“ im „Deutschen Bund freier Freier“ hätte wahrscheinlich ziemlich viele Mitglieder.

    Natürlich werde ich hier meinen eigenen und leicht zu äußernden Ansprüchen nicht gerecht: Ich besitze (noch?) nicht genug Rückgrat und Integrität, mich an einem „Aufstand der Freier“ offen zu beteiligen oder zu initiieren. Für Dich und Deine KollegInnen haben alle diese Dinge eine ganz andere, existentielle Bedeutung. Darum empfinde ich Hochachtung (ein großes Wort, aber ich meine es ernst) für Euch, die Ihr für Eure Sache eintretet (und damit letztlich auch für uns namenlose Gäste) und dabei trotzdem Tag für Tag einen Super Job macht.

    Markus

  2. Hallo Markus,

    ja, das Prostitutionsstigma beisst in beide Richtungen, Anbieter und Nachfragende. Daher ziehen wir auch alle am gleichen Strang. Ich verstehe jeden, der sich im derzeitigen gesellschaftlichen Klima nicht outen möchte. Auch viele Kolleginnen können oder möchten das ja nicht. Daher fühle ich mich auch ein Stück weit verpflichtet, an die Öffentlichkeit zu gehen – eben weil ich’s kann, ohne in meinem direkten Umfeld mit Problemen rechnen zu müssen.

    Wer uns im Hintergrund unterstützen möchte, ist aber natürlich ebenfalls herzlich willkommen. Ich habe im Artikel gerade noch einen Link zu einer Petition: Mehr Rechte und Respekt für Sexarbeiterinnen! eingefügt, diese kann auch anonym unterzeichnet werden. Der Text dieser Petition soll ausserdem vor der Bundestagswahl in mehreren großen Tageszeitungen als Anzeige veröffentlicht werden, dafür brauchen wir dringend Spenden.

  3. signed. öffentlich :]
    Erfahrungsgemäß bringen Reglementierung und Prohibition in solchem Bereich nichts als Schaden und zwar genau denen, die es eigentlich (ganz paternalistisch) nützen sollte.
    (eigentlich wie in der Drogenpolitik. Bei der hängt der Verfolgungsdruck (hängt, nach einer Untersuchung die ich las, signifikant) mit der Todesrate zusammen. )
    Im Falle der Prostitution wäre auch nicht nur die körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung der (von wirtschaftlichem* oder physisch/psychischem Zwang)betroffen Frauen eingeschränkt, sondern allen.

    Den Menschen, welche sich ihren Job aus wirtschaftlichen Gründen (ggf Beschaffungsprostitution+ Faktor X, y &Z) oder ganz einfach aus Zwang nicht wirklich selbst auswählen können, ist nicht dadurch geholfen dass die Prostitution ganz überwacht wird.
    Hierzu mal eine Abwandlung:
    „das Gegenteil schlechter (im sinne von unsafe &unfreiwillig) Prostitution ist nicht keine Prostitution, sondern gute.“

    Aber solange wir(Gesellschaft) nicht verstehen, was eine gute, faire Prostitution ausmacht, woran man diese erkennt und wie man sie unterstützt ist das Gegenteil ja (auch für den Kunden, denke ich) nicht so einfach zu erkennen.

    Reglementierung schadet, nicht nur weil sie weitere Hemmungen aufbauen kann, sondern wohl auch indem sie bestehende Probleme*
    verstärkt.
    Zudem könnten/sind Abhängige durch die Abhängigkeit gehemmt(werden) melden, damit bekannt sein bei der Polizei könnte nebst potentieller Abwertung zu verstärkter Durchsuchung/Kontrolle und damit weiterer Kriminalisierung bis zu Knast führen wie heißt es-ein gebranntes Kind scheut das Feuer) , Gewalt wird nicht angezeigt da ggf Drogen-beziehungen als Erpressungsmittel genutzt werden etc ect)
    das sind Probleme. die Barrieren, die Menschen die Hilfe brauchen davon abhalten, sie zu bekommen.
    aber diese Barrieren sind nicht zu wenig Polizei oder Gesetze.

    Diese Barrieren sind mangelnde Sichtbarkeit, Stigmatisierung, Rassismus und Ausgrenzung, teilweise Flüchtlings/Asylpolitik** und ein Moralempfinden dass gar nicht erst zur Empathie reicht(da ist ein Brett im Weg…)und zur Abwertung führt.

    *damit sind nur diese gemeint die sich nun wirklich gezwungen fühlen& damit unglücklich sind, u.B eben Suchtkranke.(Selbst da sich es ja nicht alle )
    **welch Mensch sucht denn Hilfe, wenn er/sie nicht weiß ob das nicht sofort zur Abschiebung führt…
    Und da sich einige (Landes)Regierungen sich diesbezüglich nicht mit Ruhm bekleckert haben kann ich die Unwilligkeit zur Kooperation mit Staatsdienern nachvollziehen. Wäre ich in der Situation, ich würde mir 3 mal überlegen welches jetzt das kleinere Übel ist.(Gerade wenn es eine geplante Wirtschaftsmigration war-wird der Mensch vermutlich versuchen, wieder einzureisen und dann wieder Schulden machen und dann, so nicht sehr gut ausgebildet-oder selbst dann(Papierlosigkeit) vermutlich wieder in diesem Bereich landen…)

    *(wie z.B. unzureichende Schutz gegen Abschiebung, generell Papierlosigkeit, Sprachbarriere, ggf Gewalt/Ausgrenzungserfahrungen mit der (hiesigen) Polizei(oder schlechte Erfahrungen mit gewalttätigen oder korrupten Staatsangestellten im Heimatland) etc

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