Undine im Laufhaus

Nachdem ich den Erfahrungsbericht einer Kollegin aus einem Flatrate-Bordell sehr hilfreich fand, um mir ein realistisches Bild über die Arbeitsweise in solchen Läden zu machen, hab ich mich entschlossen, auch mal ausserhalb meiner Komfortzone zu recherchieren und habe das letzte Wochenende in einem Laufhaus in einer Großstadt irgendwo in Deutschland verbracht. Ich hab ja im Moment viel Kontakt zu Politik und Presse und es geht mir massiv auf den Zeiger, dass man mir immer wieder erklärt, ich säße als Deutsche und zudem Domina in meinem Elfenbeinturm und wisse nicht, was an der Basis abginge.

Ich möchte mich übrigens in aller Form bei dem Herrn entschuldigen, der mich erkannt hat und dem ich dort vor Ort erklärte, er müsse sich irren. Ich wollte nicht, dass meine Recherche sich vor deren Abschluss herumspricht.



Das Rotlichtviertel, das ich mir ausgesucht hatte, ist ein ganzer Straßenzug bestehend aus Laufhäusern unterschiedlicher Standards, insgesamt mehrere hundert Zimmer. Das ist vermutlich die Atmosphäre, die mit „Bordell Deutschland“ gemeint ist – die Mieterinnen weit überwiegend Frauen aus Osteuropa, die Kundschaft, zumindest am Wochenende, Sextouristen in Feierlaune aus aller Herren Länder.

Ich hatte mich in einem der moderneren Gebäude eingemietet, ein verschachtelter Komplex mit etwa hundert Betten, der beim Bau schon als Laufhaus konzipiert wurde. Ich hatte dort ein Zimmer mit etwa zehn Quadratmetern, Boden gefliest, einem 1,40er Bett (über den Zustand der Matratze schweigen wir), Barhocker, Spiegel, Nachttisch mit Telefon, Kleiderschrank und Kommode, Fernseher, mäßig gut arbeitender Klimaanlage und ein kleines Bad mit Toilette, Dusche, Waschbecken und Bidet. Bettwäsche und Handtücher waren selbst mitzubringen, oder wie ggf. auch alle anderen Arbeitsmaterialien im hauseigenen Shop zu kaufen. Das Zimmer hatte ein Fenster mit Vorhang zur Eingangshalle, so dass man sich für die Besucher sichtbar auf dem Bett rekeln konnte und nicht in der Tür stehen musste. Es gibt dort aber auch Zimmer mit Fenster nach draussen, was für einen längeren Aufenthalt vermutlich eine gute Idee ist, um nicht völlig einen an die Klatsche zu kriegen. Normalpreis 130 Euro pro Tag (angeblich inklusive Pauschalsteuer), ich musste 150 pro Tag zahlen, weil ich nur Freitag Abend bis Sonntag Morgen bleiben wollte.

Essen war inklusive, es gibt eine Küche, in der rund um die Uhr Müslis, Obst, verschiedene Brote und Brötchen und ein großer Kühlschrank voll Belag zur Verfügung stehen. Einmal am Tag gibt es was warmes, was man sich später auch nochmal in die Mikrowelle stellen kann. War alles nix dolles, aber ausreichend. Die Küche war groß, hell und sauber.

Es gibt wohl auch noch einen kleinen Fitnessraum, dessen Nutzung in der Zimmermiete enthalten ist, den hab ich mir aber nicht angeschaut. Nach Möglichkeiten zum Wäsche waschen hatte ich vergessen zu fragen. Ich tippe mal auf Münzwaschmaschinen irgendwo im Keller oder sonst irgendeinen Service, ich kann mir nicht vorstellen, dass man dafür das Haus verlassen muss.

Ich hab mich dort nicht als Aktivistin geoutet, sondern ganz normal eingemietet.

Das war eine komplexe Erfahrung. Sehr skurril, was die Kundschaft dort angeht: manchmal bin ich mitten in einem völlig absurden Dialog in schallendes Gelächter ausgebrochen. Sehr anstrengend, ich hab mit zehn Stunden im Fenster sitzen und anbahnen am Freitag und zwölf Stunden am Samstag nicht ganz alle Unkosten (Miete, Fahrtkosten und kleinere Spesen) reinbekommen, geschweige denn Gewinn gemacht. Ferien, Hitze und Ramadan haben nicht geholfen, alle Kolleginnen, mit denen ich gesprochen habe, haben gejammert und die Kunden meinten auch, es sei viel weniger Betrieb gewesen als normal.

Ich hab natürlich hauptsächlich die Frischfleischjäger und Sextouristen abbekommen, und ich schwör euch, ich hab mich schon sehr, sehr lange nicht mehr so geballt mit dermaßen toxischen Menschen abgegeben. In meinem Studio hätte ich die schon beim ersten Telefonat innerhalb von zwei Minuten abgewürgt.

Die Kolleginnen dort meinten, man kann auch in so einem Laden Stammgäste aufbauen, die dann angenehmer sind. Es gibt wohl auch Frauen, die dort nur unter der Woche tagsüber arbeiten und ein ganz anderes Klientel haben. In der Umgebung sind mehrere große Betriebe, aus denen Kunden tagsüber vorbeikommen und dann auch nicht stundenlang rumrennen und feilschen, sondern zu ihrer Stammfrau gehen, manchmal sogar mit Terminvereinbarung. Das ist dann sicherlich entspannteres Arbeiten, was aber vermutlich auch nichts daran ändert, dass man sich bei dem Preisniveau und den Grundkosten keine goldene Nase verdient. (Ich hab mein möglichstes getan, mit vielen Kolleginnen ins Gespräch zu kommen, was aber häufig an der Sprachbarriere oder bestehenden Cliquen gescheitert ist. Ist aber auch klar, dass man nicht mal eben ein Vertrauensverhältnis zu einer Neuen aufbaut. Umso mehr hab ich mich gefreut, wenn ich mal eine längere Unterhaltung hatte.)

Das Personal in den beiden hauseigenen Bars war dagegen sehr gesprächig und offen, da hab ich viel erfahren. Einer der Barkeeper sagte, in Laufhäusern arbeiten keine Frauen, nur Kinder („Blagen“ war die genaue Formulierung) und an Kundschaft verkehre nur „Gesocks“. Ich war offenbar in diesem Laufhaus mit 100 Zimmern zu dem Zeitpunkt und auch schon seit einer ganze Weile die einzige Deutsche und hab sicherlich auch den Altersschnitt ein Stück angehoben.

Als Sozialstudie definitiv spannend, aber auf Dauer so zu arbeiten und auf den Verdienst angewiesen zu sein macht wirklich krank, denke ich. Ich hatte die zwei Tage ziemlich hochgedreht und die ganzen Bekloppten haben mich hauptsächlich amüsiert, aber am Sonntag Morgen musste ich dann auch erst mal emotional zusammenklappen.

Aber es ist interessant: Ich bin mir nach wie vor sicher, dass nicht die Sexarbeit das Problem ist, auch dort nicht, Sex gegen Geld ist mir im Laufhaus genauso leicht gefallen wie im Studio. Es ist die Respektlosigkeit und Grenzverletzung dieser Sorte Kunden, die krank macht. Ich würde sagen, dass von den zehn, zwölf Kunden, die ich in den zwei Tagen hatte, höchstens ein Drittel anstandslos meine Grenzen respektiert hat, der Rest hat während der Aktion verbal oder handgreiflich massiv und wiederholt versucht, mich zu Dingen zu bringen, die ich zuvor bereits explizit abgelehnt hatte oder für die sie nicht zusätzlich bezahlen wollten. In meiner alltäglichen Arbeitsweise sind selbst verbale Drängeleien die absolute Ausnahme. Und ich schätze, dass von zahllosen Männern, mit denen ich Anbahnungsgespräche geführt habe, bestimmt ein Viertel versucht hat, den vom Haus vorgegebenen Mindestpreis von gerade mal 30 Euro(!) für eine Viertelstunde Französisch und Verkehr noch runterzuhandeln.

Das Haus hat ein recht massives Security-System, Videoüberwachung auf allen Fluren, in jedem Zimmer ein Alarmknopf, acht Mann Sicherheitspersonal in Festanstellung, und das wird laut des Barkeepers auch gebraucht, weil die Kunden nicht nur drängelig sind, sondern auch mal so übergriffig werden, dass man das alleine nicht mehr in den Griff bekommt. Das hatte ich persönlich ja in zwanzig Jahren Sexwork überhaupt noch nie!

Mein Fazit ist eigentlich nichts neues: Es gibt Beziehungen (in diesem Fall geschäftliche), die von gegenseitiger Wertschätzung geprägt sind, und solche, die es nicht sind. Die einen sind bereichernd, die anderen machen krank. Die Gründe, aus denen manche Menschen ungesunde Beziehungen eingehen, sind komplex. In meinem Fall war’s ein politisches Experiment und eine persönliche Grenzerfahrung. Das, so wie ich es erlebt habe, als längerfristig bestmögliche Option zum Lebenserwerb zu sehen, ist allerdings vermutlich echt beschissen.

Ich hab mich länger mit einer dort arbeitenden dominanten Kollegin unterhalten – definitiv nicht blöd, Intensivkrankenschwester aus Ungarn, hat hauptsächlich Stammgäste und nimmt studioübliche Preise von 200+ Euro die Stunde. Die zahlt dort 130 Euro Miete pro Arbeitstag und 55 Euro Reservierungsgebühr für ihr Stammzimmer pro Tag, wenn sie nicht da ist. Ich hab sie gefragt, wieso sie sich nicht einfach eine kleine Privatwohnung nimmt – ach nun, sie will das ja nur noch ein halbes Jahr machen und dann wieder als Krankenschwester arbeiten, aber zuhause kommt sie nicht dazu Bewerbungen zu schreiben wegen der Familie, und im Puff kommt man ja sowieso zu nichts. Ich vermute mal, das sagt sie schon seit Jahren und wird das auch noch in ein paar Jahren sagen. Bis dahin hat sie dem Laden monatlich zwischen 2000 und 4000 Euro für ein zehn Quadratmeter-Zimmer in den Rachen geworfen.

Ich bin froh, dass ich das Wochenende durchgezogen habe und werde solche Exkurse wohl auch in ähnlicher Form noch gelegentlich zu anderen Zeiten und an anderen Orten wiederholen. Dabei muss ich sagen, dass mich nicht viel von dem, was ich erlebt habe, überrascht hat – ich hab ja nie behauptet, dass es keine miesen Arbeitsbedingungen in der Sexarbeit gäbe, nur, dass die weder der Sexarbeit inhärent, noch auf diese beschränkt sind.

Von Zwang, der über die „ganz normale Ausbeutung“ hinausging, also über den kapitalistischen Druck auf die Frauen, unter diesen Rahmenbedingungen irgendwie ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, habe ich übrigens mal wieder nichts mitbekommen.

Und bezüglich dessen, welche rechtlichen Regularien ggf. wirklich sinnvoll wären, um solche Arbeitsbedingungen zu verbessern, bin ich auch nicht weitergekommen. Von den ungeheuerlichen Mietpreisen im Verhältnis zu den ortsüblichen Honoraren abgesehen fand ich das Haus an sich gar nicht schlecht konzipiert, die Infrastruktur und das Sicherheitssystem durchdacht und das Personal professionell und freundlich. Als ich eine Mietquittung für meine Buchhaltung wollte, hat man mich allerdings angeschaut wie ein Auto. Das kommt wohl sonst nicht vor. Da der Geschäftsführer am Wochenende nicht im Hause ist, wurde versprochen, mir nachträglich eine zuzuschicken. Ich bin gespannt. (Nachtrag: Ich habe innerhalb weniger Tage eine vollumfänglich befriedigende Rechnung über Miete, Mehrwertsteuer und an das zuständige Finanzamt bereits abgeführter Pauschalsteuer bekommen, da lässt sich nicht meckern).

Ich weiss nicht mal, ob es etwas bringen würde, diese Wuchermieten gesetzlich zu deckeln, oder ob das nur zu einem weiteren Preisverfall aufgrund des Konkurrenzdrucks führen würde. Offenbar gibt es ja auch so jede Menge Frauen, für die sich das so lohnt und besser ist als die Alternativen …

25 Kommentare:

  1. Hallo Undine,

    abgesehen davon, dass ich persönlich Dein Engagement mutig und eindrucksvoll finde, wünsche ich Berichten wie diesem eine noch viel weitere Verbreitung als sie ein Blog bewirken kann. Ich halte es für wichtig und längst überfällig, dass die breite Öffentlichkeit aus wirklich berufenem Munde informiert wird, anstatt mit politisch tendenziösen bzw. „korrekten“, auf jedem Fall aber voreingenommenen und selektiv recherchierten Artikeln traktiert wird.

    Dein Bericht liefert weitere Argumente, die deutlich machen, dass es eben keine Sonderstellung der Sexarbeit innerhalb des gesellschaftlich-ökonomischen Rahmens gibt: Es existieren einfach unterschiedliche Marktsegmente zwischen Premium und Discount, und die Mechanismen des Kapitalismus sind da gnadenlos. Was gut für Produktivität und Rendite ist, ist noch lange nicht gut für die Beschäftigten, ob sie nun angestellt oder sonstwie in ein Unternehmen eingegliedert sind. Daran wird sich auch nichts ändern, so lange es genug Menschen gibt, die sich entscheiden, sich (d.h. ihre Arbeitskraft) letztlich „unter Wert“ zu verkaufen und dafür keine Alternative sehen. Darauf beruht ein guter Teil unseres gepriesenen Wohlstandes: Viele können sich vieles leisten, weil es irgendwo immer noch genug Leute gibt, die den ganzen Kram zu Hungerlöhnen herstellen bzw. sich bei der Erbringung von Dienstleistungen abschuften. Das bei der ganzen Sache das Gefühl für den eigentlichen Wert der Waren und Leistungen ebenso wie die Achtung vor den Erbringern verloren geht ist klar: Ein wahrhaft „globaler“ Missstand. All dies ist aber nicht kriminell, sondern gehört zur freien Wirtschaft, der die Sexarbeit eben genauso unterworfen ist wie die Produktion von Katzentoiletten, Brötchen und die Versorgung der Bevölkerung mit Haarschnitten. Das Problem, dass Menschen mangels greifbarer Alternativen gezwungen sind, sich durch Einsatz ihrer Arbeitskraft zu prostituieren und unter miesen Bedingugnen zu arbeiten ist nun wirklich branchenübergreifend. Kriminalisierung hilft da gar nichts- wie wäre es denn mit mehr Bemühung um Chancengleichheit?

    All dies wird die Moralapostel nicht davon abhalten, die Probleme der Sexarbeit (dort, wo sie auftreten) weiterhin mit der ihr angeblich innewohnenden „Schlechtigkeit“ in Verbindung zu bringen, aber es macht ihnen das Argumentieren schwieriger. Dein Bericht hilft dabei und ist ein weiterer echter Augenöffner.

    Ich wünsche Dir und allen Deinen Kolleginnen für Euer Engagement viel Kraft und Durchhaltevermögen

    Markus

  2. erst Günter Wallraff, dann das Jenke von Wilmsdorff – Experiment……., und nun erscheint die U. aus HH

    Hallo Undine

    die Erlebnisse der vorstehend gen. Protagonisten haben mir oft Kurzweil verschafft.
    Deine Erlebnisse haben mich „toxisch“ mitleiden lassen. In diesem Moment schäme ich mich ob meiner Geschlechtsgenossen fremd. Nicht wegen des Besuchs in einem Bordell und der einhergehenden Dienstleistung. Nein, das „wie“ sorgt dafür, daß ich z.Zt. über einen ergiebigen Speichelfluss verfüge. Alles weitere kann ich aufgrund von Nichtwissen mir lediglich anlesen. Deinen Berichten vertraue ich. Meine Augen und Ohren werde ich offen halten. Deine Intention, Erfahrung und Berichterstattung haben mich weniger erreicht als der Ekelfaktor, der um Dich herum verbreitet wurde. Bei schönen Erlebnissen vermag ich anzumerken, daß ich mich mitfreue kann. In Deinem speziellen Fall ekel ich mich mit Dir gemeinsam. In meinen Gedanken bin ich in der Brennerstraße…….. man, was für Welten klaffen zwischen Deinem Wochenende und dem kleinen feinen Studio.

    Beste Grüße
    Jorgo

    PS: zur Kirche und seinen moralisch gefestigten Schäfchen. Ich bin auf meinem platten Land umzingelt von den Gutmenschen. Den Aufkleber mit dem bunten Kirchen-Bückel auf dem Kofferraum des PKW und alles wird gut. Ach, und wie die Moralapostel den lieben Kleinen der Gemeinde durch die Haare wuscheln und ihnen ein Stück Schokolade schenken. Auch hie kräuselt sich der Speichel um meine Zunge herum und läßt mich würgen.

  3. Da Jorgo es anspricht: Auch ich habe mich spontan geschämt, als ich mir die Situation der von Undine geschilderten Anbahnungs-„Gespräche“ vors innere Auge geführt habe und dies um so mehr, als ich selbst Laufhäuser aus der Kundenperspektive kenne…

    Ich nehme zwar für mich in Anspruch, mich jeder Sexarbeiterin gegenüber korrekt, freundlich und bescheiden zu verhalten und dies unabhängig vom äußeren Rahmen der Begegnung, sei es auf der Straße, im Auto, im Laufhaus, in der „Modellwohnung“ oder im Studio, aber auch in mir steckt etwas vom „Freierinstinkt“, der zur schnellen Nummer drängt. Ich hoffe jedenfalls, niemals die Ursache für einen verdorbenen Sex-Arbeitstag gewesen zu sein.

    Wenn ich jetzt ein wenig von mir erzähle, ist das natürlich keine politische Äußerung, aber ich finde es wichtig, in der aktuellen Situation auch die Kundenseite der Sexarbeit zu betrachten, gewissermaßen die „verschämte andere Hälfte“. Was Undine beschreibt, hat in mir Erinnerungen an Situationen wachgerufen, die Jahre zurückliegen, die aber, wie ich meine, „zeitlos“ sind:

    Manchmal habe ich mich auf meien Runden im Laufhaus wie in einem Traum gefühlt; Stockwerk für Stockwerk lange Gänge, schummrige Beleuchtung, Türen, vor denen Barhocker stehen, auf denen Frauen sitzen. In mir eine Mischung aus Lust und Scham: Ja, ich könnte jede dieser Frauen „haben“, teuer ist es ja nicht, ich suche mir einfach eine aus. Im nächsten Augenblick dann der Gegengedanke: Das ist hier ja wie bei Marktständen auf dem Wochenmarkt und ich begutachte die ausgestellte Ware. Mist, was tue ich hier eigentlich? Der wohlige Traum vom sexuellen Schlaraffenland platzt augenblicklich. Dies ist die Realität und ich spiele keine besonders gute Rolle darin.

    Ich gehe trotzdem weiter, weiß nicht, wohin ich blicken soll. Ich schnappe Details von Körpern auf, hier und da ein reizvolles Kleidungsstück. Es ist schwierig, den Frauen ins Gesicht zu sehen, denn sofort sprechen sie mich an. Sie tun es auch, wenn ich mich mit gesenktem Kopf an ihnen vorbei drücke, aber ohne Blickkontakt ist es ist einfacher, wortlos zu weiterzugehen. Ich warte auf einen Kick in mir und suche gleichzeitig ein Gegenüber, ein Stück normaler Kommunikation, alles andere ist
    irgendwie unwürdig. Dann ist da aber auch dieser Drang, immer weiterzusuchen (zu jagen?). Im nächsten Stockwerk könnte ja eine Frau auf mich warten, die mich noch stärker anmacht.

    Wende ich mich schließlich einer Frau zu, oder lasse mich von ihr festhalten, spüre ich sofort, wie sie mich einfangen will. Das ist erregend, aber mein Kopf schaltet nicht ab: Natürlich muss sie mich am Weitergehen hindern,versuchen, mich innerhalb von Sekunden zu überzeugen. Vielleicht hat sie die Zimmermiete für den Tag noch nicht wieder beisammen, egal, ich bin für sie nur ein Portemonnaie auf Beinen- wie sollte es auch anders sein? Im Grunde spielen sie und ich nur „Erotisches Stelldichein“ und wir beide wissen es. Die Frau sowieso, aber auch ich, denn so richtig unbeschwerte Lust empfinde ich schon längst nicht mehr. Dieser dauernde Wechsel zwischen Lust und Selbstekel deprimiert.

    Tatsächlich bin ich bei meinen vielen Runden durch Laufhäuser bis heute nur ein einziges Mal mit ins Zimmer gegangen und habe prompt eine unschöne Erfahrung gemacht. Ich hatte von mir aus einen weitaus höheren Betrag als das genannte „Mindesthonorar“ gezahlt und keinerlei Zusatzleistungen verlangt; trotzdem wurde nach Kräften nachgekobert und ich schließlich unter Beschimpfungen entlassen, da ich nicht darauf eingehen mochte. Ich habe mich danach ziemlich mies gefühlt. Natürlich hat sich die Frau nicht korrekt verhalten, aber habe ich es anders verdient, wenn ich im Laufhaus auf „Fleischbeschau“ gehe? Immerhin konnte die Sexarbeiterin ja zunächst nicht wissen, dass ich kein Rüpel, sondern ein ganz besonders feinfühliges Männerexemplar bin (Achtung, Selbstironie!).

    Ich weiß natürlich nicht, inwiefern mein Erleben repräsentativ für dasjenige anderer Laufhausbesucher ist. Bestimmt aber ist das Laufhaus ein Ort, an dem gegenseitiger Respekt und Achtung mitunter schwer gedeihen. Zwischen diesem Laufhausbetrieb und einer liebevoll ausgestalteten Studiosession liegen wirklich Welten. Dass in den Köpfen vieler Laufhauskunden erheblicher Aufräumbedarf besteht ist ebenfalls sicher. Wenn Undine auch keine Details aus ihren Anbahnungsgesprächen genannt hat, so kann
    ich mir diese doch lebhaft vorstellen; etwas davon habe auch ich auf meinen Laufhausgängen aufschnappen können.

    Dies ist nur ein kleiner Blick in „Freiers Innenleben“. Andere werden anders empfinden und erleben. Ich glaube nicht, dass ich die geschilderten Erfahrungen wiederholen werde, aber ich gebe auch nicht vor, der Erleuchtung schon so nahe zu sein, dass ich über jedwede triebhafte Regung erhaben bin. Ich hoffe nur, mich so ausleben zu können, dass ich niemanden beeinträchtige. Alles sehr kompliziert. Es muss sich halt noch viel tun, ndividuell-psychisch, sozial und Ökonomisch; dann wird Sex vielleicht einmal zu dem unschuldigen Vergnügen, was er eigentlich ist.

    Markus (noch voller Hoffnung)

  4. Hallo Undine,

    ein bemerkenswertes, persönliches Experiment und eine Geschichte, bei der es mich zeitweilig gruselte.

    Die Grenzüberschreitungen, denen diese Frauen täglich ausgesetzt sein müssen, sind wirklich haarsträubend.

    Was gilt es zu ändern, damit sich die Arbeitssituation der Frauen verbessern lässt?

    Das Konzept des Hauses scheint ja in den meisten Punkten okay zu sein.

    Die Männer, die sich wie Schweine benehmen, werden sich wohl kaum ändern lassen.

    Bleiben die Frauen!

    Spontan dachte ich beim Lesen Deines Berichtes gleich daran, daß es notwendig wäre, den Frauen Sprachkurse anzubieten.

    Denn wie soll eine Frau sich gegen Grenzverletzung verbal wehren, wenn sie die Sprache nicht beherrscht?

    Auf weitere, anregende Beiträge freut sich,
    LadyTanja

    • Ich halte Sprachkurse zumindest aus dem Grund nicht für das drängendste, das Publikum spricht nämlich auch kaum deutsch. Ich glaube, ich hatte genau einen fließend deutschsprachigen Gast an den zwei Tagen (und der war der widerlichste von allen, go figure).

      Bessere Sprachkenntnisse würden aber wahrscheinlich helfen, wenn man eher Tagschicht arbeitet, oder um in Segmente umsteigen zu können, in denen es weniger nervig zugeht (Appartments z.B.).

      Insgesamt halte ich Empowerment durch aufsuchende Weiterbildung und Professionalisierung in den Bereichen Sprache und Themen wie Recht, Steuern, Gesundheit und Arbeitstechniken inklusive Selbstfürsorge und Psychohygiene für unbedingt und dringend erforderlich, und zwar mit unterschiedlichen Schwerpunkten in ausnahmslos allen Bereichen der Sexarbeit.

  5. …spannender Bericht! Und schön, auch die Kundenperspektive zu lesen.

    @LadyTanja: …ich glaube schon, dass sich auch das durchschnittliche Verhalten der Kunden beeinflussen lässt, insofern es ja auch bestimmte kulturelle (und hoffentlich im langsamem Aussterben begriffene) Denkgewohnheiten widerspiegelt: dass Frauen ja Sex ohnehin nicht rausrücken, und dazu quasi überlistet oder gedrängt werden müssen; dass sie auch Nein sagen, wenn sie Ja meinen; ein gewisses Anspruchsdenken, dass aus der irrigen Idee kommt, eine Sexarbeiterin würde „sich verkaufen“ oder „ihren Körper verkaufen“; dass eine Nutte einen ja eh nur ausnimmt. Letztere hängt nicht nur mit Frauen/Männer-Bildern zusammen, sondern auch mit dem uninformierten und negativen Image, das die Sexarbeit in der Gesellschaft hat. Sowas ist veränderbar, nur nicht von heute auf morgen.

    Was helfen würde: den ökonomischen Zwang mindern. Am liebsten würde ich an der Stelle nicht über die Mietpreise allein regulieren, sondern über das Verhältnis Mietpreis / hauseigener Mindestpreis der Dienstleistung. Das ist natürlich rechtlich vermutlich nicht zu machen, erst recht nicht, wenn jede Frau ihre eigenen Preise selbst festlegt. Aber sinngemäß juckt es mich weniger, wenn die Mieten eklatant hoch sind oder (wie in Bordellen und Massagestudios üblich) wenn hohe Anteile von um die 50% gezahlt werden), solange trotzdem das, was übrig bleibt am Ende des Tages ein fairer Lohn ist.

    Sprachkurse… da gibt es doch dieses Projekt in London: https://www.xtalkproject.net/ . Aber wenn eine Frau, die im Laufhaus arbeitet, nicht dazu kommt, Bewerbungen zu schreiben, dann hat sie auch nicht die Zeit für einen Sprachkurs übrig. Oder nimmt sie sich nicht. Könnte man sowas aufsuchend gestalten? Das funktioniert aber auch nicht, wenn kein gemeinsamer Aufenthaltsraum da ist, wo sowieso alle sitzen und wo das nebenher stattfinden kann, wenn keine Kunden da sind.

    Grüße aus Berlin,
    Lena

  6. @Lena

    Angebote wie Sprachkurse, psychologische Aspekte der Sexarbeit, Rechte von SW u.ä. sollten vor Ort angeboten werden.

    Wenn das Selbstbewußtsein der SW gestärkt(er) ist, dann kann sie sich auch besser gegen Übergriffe, Ausbeutung u.ä. zur Wehr setzen.

    Darüber sollte die Politik mal nachdenken.

    • @ Lady Tanja:

      Warum sollten ausgerechnet ausländische Prostituierte explizit mit Sprachkursen gefördert werden, die dann auch noch vor Ort sein sollen? Ausländer, die im Schlachthaus, in einer Fabrik oder sonst wo arbeiten, bekommen derartiges in der Regel auch nicht angeboten. In so ziemlich jeder größeren Stadt gibt es alle möglichen Sprachkurse, aber dafür muss man eben seinen Hintern bewegen.

      Diese Forderungen nach einer Sonderbehandlung finde ich extrem übertrieben.

  7. Hallo Undine,

    ich bin wirklich beeindruckt von deinem persönlichen Engagement. Ich freue mich, dass Eure Bewegung in dir eine so aufopferungsvolle, motivierte und kreative Mitstreiterin hat!

    Und ich danke Dir sehr für die Einblicke und das Diskussionsmaterial – und für die augenöffnenden und zum-weiter-recherchieren-einladenden Worte!

  8. Ich muss übrigens zwischendurch mal erwähnen, wie ausnahmslos bezaubernd meine Studiogäste bisher diese Woche waren und wieviel Spaß ich hatte. Diesen Kontrast weiss ich jetzt umso mehr zu schätzen … Ich danke euch! 🙂

  9. @EmmaGutversteckt

    Du und Deine krassen Ansichten! Ich weiß, warum ich Dich mag *smile*

    Die meisten SW, die ich kenne, sind engagiert, intelligent und „kriegen den Arsch hoch“.

    Die wenigen SW, die mir in meinem Leben über den Weg liefen und die nicht dem Bild der engagierten, selbständig agierenden SW entsprachen, waren hilflose Mädchen mit typischem „Opfer“-Leben, entsprachen also genau dem Klischee der ausgebeuteten Menschenhandel-Rumänin.

    Ich denke, daß man jedes „Opfer“ fördern sollte, ob nun die geprügelte Ehefrau oder die ausländische SW, den polnischen Erdbeerpflücker genauso wie die thailändische Haushaltshilfe.
    Oft haben solche Menschen eben keine Kraft, sich zu einem Sprachkurs o.ä. zu bewegen.
    Es hat nicht jede(r) unsere Power!
    Warum also nicht vor Ort anbieten?
    Und gäbe es eine polnische-Schlachthaus-Arbeiter-Lobby, könnten diese ja auch Kurse im Schlachthaus anbieten.

    @Undine

    Danke für die Aufklärung bezüglich des Sprachkurses. Okay, wenn die Männer vor Ort auch kein Deutsch können, scheint das ja eher eine sinnlose Maßnahme zu sein.

    Dein Bericht hat bei mir jedenfalls dazu geführt, daß ich mich diese Woche über meine wunderbaren Stammgäste, die mir respektvoll entgegentraten, wahnsinnig gefreut habe.

    Da sind wir wohl tatsächlich privilegiert im Gegensatz zu Kolleginnen in anderen SW-Segmenten.

    • Martin Ambrosius Hackl

      @Lady Tanja, @Undine

      ich sehe das mit den Sprachkursen anders. Ich denke, sie sind immer wertvoll und bieten immer Schutz.

      Eine Frau, die die Landessprache nicht spricht und einem Gewerbe nachgeht, das sie oft per se abwertet, wird grundsätzlich eher Auswege aus der Opferhaltung finden können, wenn sie auch außerhalt des Bordells oder der Laufstraße an Orientierung gewinnt. Wenn sie die Landessprache spricht bedeutet das, daß sie überhaupt erst in die Lage versetzt wird, auf „normale“ Menschen (außerhalb des Gewerbes) zuzugehen. Sie kann sich informieren, wie ihre Rechte sind. Sie hat mehr Perspektiven, sich eventuell ‚zu bewerben‘. 🙂

      Sprache ist Empowerment. Ob nun in der unmittelbaren und konkreten Situation mit dem übergriffigen Freier, oder aber grundsätzlich in dem Wissen, daß man u.U. auch zur Polizei gehen kann, wenn man bedroht wird, daß es berufliche Interessenverbände gibt, wie den dem Undine vorsteht.

      All das sagt mir: Sprachkurse sind keine Lösung, aber ein erster Schritt.

  10. @Markus

    vielen Dank für Deinen Bericht aus Kundenperspektive, sehr ehrlich und sehr aufschlußreich, mal die „andere Seite“ zu lesen.

  11. Hallo Undine,
    ich finde es toll, dass Sie mit so viel Engagement dabei sind und den „Elfenbeinturm“ nicht auf sich sitzen lassen, die Sache aus mehr als einer Perspektive betrachten.

  12. Undine, das hast Du klasse gemacht. Schade, daß der Text nicht noch eine weitere Verbreitung fundet!

    Gruß aus München,
    Max

  13. Ein bemerkenswerter Selbsttest, Max hat mich über unsere SIG darauf aufmerksam gemacht. Neben den im Vergleich zu den Verdienstmöglichkeiten arg hohen Mieten (das kann sich doch eigentlich nur für manche Damen einigermaßen lohnen, was dann aber auch mehr Arbeit als angenehm bedeutet) finde ich die FESTSTELLUNG (vedammt, in dem Moment bin ich versehentlich auf die Feststelltaste für Großbuchstaben gekommen), dass es im Wesentlichen bei vielen an einem wertschätzenden, respektvollen Umgang miteinander fehlt (und dies ein Problem ist, dass sich nicht nur im Sexgewerbe findet) den zentralen Punkt. Wie man das ändern könnte ist leider ungelöst oder unlösbar, meine etwas pessimistische Sicht ist, dass der Mensch kein sehr hochwertiges Wesen ist, auch wenn es wunderschöne Ausnahmen gibt (im BDSM Bereich auch recht viele davon, Wertschätzung und Akzeptanz von Grenzen ist da sicher verbreiteter als in der Durchschnittsbevölkerung. Wobei man natürlich auch sehen sollte, dass devote/masochistische Individuen in der Hinsicht gegenüber einer dominanten Lady im Prinzip per Definition die Grenzen einhalten). Somit finde ich es durchaus bedenklich, wenn Menschen sich finanziell gezwungen sehen, in einem Laufhaus zu arbeiten. Diese Menschen sind dann ja auch am Schwächsten, sich gegen Übergriffe zu wehren. Generell finde ich das Konzept von Laufhäusern aber durchaus nicht schlecht. Wichtig wäre es meiner Ansicht, dass die dort arbeitenden Menschen auch Alternativen haben (sei es im Sexgewerbe oder außerhalb)und dies wissen, dadurch ohne Existenzängste und selbstbewußt ihre Grenzen ziehen können und dementsprechend auftreten. Ich denke allein das verhindert schon viele Grenzüberschreitungen und verleiht Würde. Der Gedankenansatz wäre damit Alternativen greifbar und sichtbar zu machen, wie, das ist natürlich eine weitere, nicht triviale Frage. Dies könnte zudem durchaus auch Druck auf die Mietpreise für die Zimmer ausüben.

  14. Ein interessanter autentischer Artikel, der der Situation entsprechend allerdings etwas einseitig gefärbt ist.
    Da es sich bei SW, um ein Business handelt, betrachte ich dieses nach den allgemeinen Gesetzen des Business.
    Wenn die Qualität eines Angebots der Qualität der Nachfrage entspricht, kommt es zu einer WIN-WIN-Situation bei einem Geschäft, ansonsten wurde eine/r betrogen.
    Im dominanten, bizarren Bereich stimmen meistens die Qualitäten überein, daher eine WIN-WIN-Situation, daher schon eine Art Elfenbeinturm im SW-Business. 😉
    Auf den normalen SW-Bereich trifft dies nämlich nicht zu.
    Problem:
    Der Wunsch des Kunden weicht weit vom überhaupt existierenden Angebot ab, sodass er versucht die erhaltene Leistung auszuweiten (Grenzüberschreitung).
    Da die Prostituierte im vorraus kassiert, hat sie aber sehr oft auch kein Interesse mehr die vereinbarte Leistung zu erfüllen (Leistungsverweigerung = Betrug).
    Dass es unter diesen Umständen zu keiner gegenseitigen Wertschätzung kommt, ist nicht verwunderlich.
    Lösung:
    Sobald eine Seite die Hürde fehlender Wertschätzung überspringt und ihre/seine Wertschätzung offen kund tut, kann das Problem aber gelöst werden. Wobei ich den Eindruck habe, dass Prostituierte ihre Kunden oft sehr viel geringer wertschätzen als anders herum. Klar ist und das gilt für jedes Business, wenn die Kunden keine Wertschätzung erfahren, funktioniert das Business nicht. Der Businessbeteiber also in diesem Fall die Prostituierte hat immer die Bringschuld.

    • Aus der Business-Perspektive könnte man von einer Bringschuld des Anbieters sprechen, wenn es sich darum handelt, vereinbarte Leistungen auch wirklich zu erbringen. Ich kann nicht beurteilen, inwiefern Anbieter und Kunde sich in der Branche gegenseitig wertschätzen, daher kann ich hier nur mit Einschränkung kommentieren.
      Ja, es sollte schon vom Anbieter eine Kundenwertschätzung ausgehen, dem stimme ich zu. Man kann aber trotzdem die gleiche Grundwertschätzung vom Kunden erwarten. Es ist manchmal schwierig, herauszufinden, wer denn nun mit der Respektlosigkeit anfängt. Hat der Anbieter vielleicht schon mehrere mehr als unschöne Verkaufsgespräche führen müssen und hat deshalb Schwierigkeiten, zu mir noch so freundlich zu sein wie am Anfang des Arbeitstages?
      Gehe ich nun als Kunde zum Bäcker und werde dort unfreundlich behandelt, ist das nicht in Ordnung und in dem Fall stimme ich einer „Bringschuld“ bzgl. Freundlichkeit bzw. Wertschätzung zu. Will ich aber als Kunde für einen vereinbarten Preis zu den 8 Brötchen auch noch einen Kuchen, ohne dafür mehr zu bezahlen oder vielleicht, obwohl der Bäcker an diesem Tag gar keinen Kuchen anbietet (und mir das vorher klar und deutlich mitgeteilt wurde), ist das von mir als Kunde nicht in Ordnung. Leider gibt es sowohl unter Anbietern als auch Kunden, egal in welcher Branche, immer wieder solche, die entgegengebrachte Wertschätzung nicht erwidern. Man kann als Anbieter noch so freundlich Bestellungen entgegennehmen und bekommt am Ende doch so viel Unfreundlichkeit zurück – und sicher auch andersherum – dass ich es problematisch finde, die generelle Bringschuld auf eine Seite zu verlagern. Unter anderem finde ich es besonders im Bereich der Sexarbeit schwierig, weil im Unterschied zu anderen Branchen hier mitunter auch Verhütung ein Diskussionsthema ist. Oder nicht? Ich kann nicht beurteilen, wie oft die Diskussion um Kondome tatsächlich geführt wird, oder ob das nur ein Vorurteil ist, das man als ‚Durchschnittsbürger‘ hat 😉 . Wenn ich mir nun aber vorstelle, dass jemand mit mir trotz eindeutiger Absprache wiederholt darüber diskutiert, ob er nicht doch das Kondom weglassen könne, finde ich, erlischt meine Bringschuld an Geduld und Freundlichkeit. Dort geht es dann nicht einfach nur um eine Dienstleistung, sondern um die Sicherheit am Arbeitsplatz.

      Ich will nun aber nicht Unterstellen, dass das der Regelfall wäre. Die Lösung des Problems liegt wohl wirklich nur darin, über den eigenen Schatten zu springen und mit der Wertschätzung zumindest anzufangen. Wenn das immer beide Seiten tun könnten, wäre das Leben so viel einfacher…

    • Hallo Joker,

      warum glaubst du, dass eine Übereinstimmung von Angebot und Kundenwunsch (und damit einhergehendes Win-Win und gegenseitige Wertschätzung) von der Art der sexuellen Dienstleistung abhängt?

  15. Hallo an alle,

    ich bin nicht der Meinung, dass das gegenseitige Verhalten von Anbieterinnen und Nachfragern im Sexgeschäft (oder sonstwo) von der Art der Dienstleistungen abhängig ist. Egal was mein Anliegen als Kunde ist, habe ich mich an die getroffenen
    Vereinbarungen zu halten. Gleiches erwarte ich natürlich auch von meiner Geschäftspartnerin. Dies ist völlig unabhängig davon, ob mein Wunsch in einer Tüte Brötchen, einem Blowjob oder einer ausgefeilten SM-Session besteht. Wenn hier nun mit
    Begriffen aus der Wirtschaft operiert wird, halte ich es für interessanter, die verschiedenen Marktsegmente des Sexbusiness zu betrachten: Im hochpreisigen (nicht „teuren“!) Premiumsegment, wozu in der Regel die Angebote von Dominas und Bizarr-
    wie auch Escortladies zählen, ist es sicherlich für die Kunden üblich, sich über das Angebot zu informieren und vorab zu prüfen, ob es mit den eigenen Vorstellungen übereinstimmt. Der hohe Preis führt zu einem bewussten und achtsamen Verhalten
    bei der Geschäftsabwicklung. Im Low Price-Segment („Orgy to go“) vermute ich bei den Kunden eher eine Einstellung, die dem Slogan eines bekannten Elektronikfachmarktes entspricht („Geiz ist…“). Hier herrscht der Anspruch, der sicherlich auch
    manchmal von den Anbieterinnen gefördert wird („Ankobern“), dass für kleines Geld nahezu „alles“ zu haben sein müsse. Das ist natürlich Unsinn, belebt aber das Geschäft ganz ungemein, wie man etwa bei einem abendlichen Gang über die Davidstraße oder den Hans-Albers-Platz sehen kann. Die angewandten Marketinginstrumente sind eben je nach Marktsegment verschieden.

    Als Sexkunde, der sich in verschiedenen Marktsegmenten getummelt hat und dies z.T. auch noch tut, habe ich die unterschiedlichsten Erfahrungen gemacht: Spitzenqualität zum Premiumpreis wie auch als „Schnäppchen“ gehörte dazu, wie auch übelste Abzocke zum Taschengeld- oder Apothekentarif. Es gibt wirklich alles. Aber: All dies berechtigt mich nicht, mich über die Grenzen der Frau, mit der ich gleich intim werden möchte, hinwegzusetzen. Natürlich freue ich mich über „Schnäppchen“- da bin ich ganz Kunde- aber letztlich geht es mir um eine wirklich befriedigende oder sogar erfüllende
    sexuelle Begegnung mit einer Frau und dafür zahle ich (naja, fast) jeden Preis, der aufgerufen wird und handele auch nicht. Erscheint mir ein Preis einmal wirklich als zu hoch, gehe ich eben wieder. Das ist das Prinzip von Angebot und Nachfrage.
    Wie ich schon in einem vorigen Posting geschrieben habe, verhalte ich mich aber (wie ich zumindest von mir glaube) jeder Sexarbeiterin gegenüber gleichermaßen verbindlich und korrekt, egal wie hoch oder niedrig der geforderte Preis ist.

    Im Gegenzug erwarte ich natürlich auch, korrekt „bedient“ zu werden. Übrigens ein Aspekt, der im Rahmen der Diskussion über die allgemeine Akzeptanz von Sexarbeit als Dienstleistung auch Beachtung finden sollte: Der „Verbraucherschutz“ ist noch
    nicht eben sehr weit gediehen. Ich habe als Kunde im Prinzip keine Möglichkeit, meine Ansprüche im Falle von Schlecht-, Minder- oder Nichtleistung seitens der Dienstleisterin geltend zu machen. Dies liegt natürlich unter anderem auch daran,
    dass ich mich nicht als Freier outen mag. Sobald ich gezahlt habe, bin ich in Bezug auf den angenehmen oder unangenehmen Verlauf der sexuellen Begegnung der Frau völlig ausgeliefert, und das nicht nur im SM-Bereich. Ich fühle mich einfach nicht gerne als „Scheiß-Freier“, der nach Belieben über den Tisch (oder übers Bett) gezogen werden kann. Ich habe wirklich keine Ahnung, woher die Idee von der „Machtposition“ der Freier kommt, sicherlich nicht von Männern mit praktischer Lebenserfahrung auf diesem Gebiet. Wahrscheinlich ist es eher Emma-Polemik. Ich will aber nicht in männliches Lamentieren verfallen, deshalb erwähne ich jetzt, dass ich tatsächlich einmal einen Teil des bereits gezahlten Geldes von der Dienstleisterin zurückerhalten habe. Ihre Begründung war, da sie mich noch nicht so gut kenne, hätte sie nicht abschätzen
    können, wie schnell ich bei einer bestimmten Praktik zum Abschluss komme. Sie hätte sonst dafür sorgen können, dass die gebuchte Zeit auch wirklich komplett ausgenutzt wird, das wäre ja schließlich ihre Aufgabe. Hut ab- damit hat sie wirklich
    Eindruck bei mir gemacht.

    Noch ein kleiner Gedanke zum Abschluss: Ich glaube, dass ein gewisser Teil der Probleme zwischen Sexarbeiterinnen und ihren Kunden daher kommt, dass die jeweiligen Grundvoraussetzungen, unter die Geschäfte vollzogen werden, so unterschiedlich
    sind: Während die Sexarbeiterin bestrebt ist, sich ihre Arbeit so gut es geht nach rationalen Gesichtsspunkten zu gestalten (schließlich ist es ja ihr Broterwerb), ist ihre Kundschaft eher von irrationalen Motiven bestimmt. Ein Freier befindet sich oft in einem Wirrwarr aus Trieben, Wünschen, Scham und Skrupeln (und mancherlei Abgründigem mehr), was dann mitunter auf sein Verhalten durchschlägt. Dies soll keine pauschale Entschuldigung für diverse Arten unpassenden Benehmens sein, von denen Undine hat davon ja schon so manche beschrieben hat. Ich glaube, dass Psychohygiene nicht nur für die Sexarbeiterinnen essentiell wichtig ist, sondern ebenso für ihre Kunden. Auch als Freier muss ich mir meines Seelenlebens bewusst sein, meine Position kennen und mich gegebenfalls abgrenzen. Dann sollte es auch nicht schwer fallen, mich meiner „Geliebten für eine Stunde“ (Original-Werbezitat einer Anbieterin) gegenüber korrekt zu verhalten. Ja, auch uns Freiern als Marktteilnehmern des Sexbusiness täte etwas „Professionalität“ ganz gut.

    (Dass ich mein Geschreibe im Sinne einer „traditionellen“ Rollenverteilung der Geschlechter formuliert habe, hat einfach

    damit zu tun, dass es sich auf diese Weise für mich schneller tippen lässt.)

    • Hallo Markus!Ich finde Ihre Ausführungen ziemlich interessant und vor allem bereichernd für Außenstehende, die versuchen, sich ein Bild von der – ich nenne es jetzt einfach mal so – „Sexarbeitsdebatte“ zu machen.

  16. Ich habe einen interessanten Beitrag von Carmen gefunden – falls er noch nicht bekannt sein sollte, möchte ich ihn gern empfehlen: https://courtisane.de/blog/?p=785#more-785

  17. Hi Undine,

    seit Ende Juli keine NEWS mehr hier ? Schade, ich habe die Blogbeiträge immer gerne gelesen, Fotos u.ä. Schade, wirkt ein bißchen als ob es am Einschlafen wäre hier – kann natürlich auch an einer vielbeschäftigten Herrin liegen^^ 🙂 LG Sklavin Anja

  18. Hallo Undine,

    ich habe mich durch deinen Blog durchgelesen und wollte dir einfach danke sagen….so tolle Texte….

    Zu diesem Eintrag hier möchte ich sagen, das ich froh bin das es Menschen gibt die z.b. in einem Studio gerne arbeiten. Ich als Rollifahrer hätte sonst dank vieler Bedenken und Unsicherheiten kaum meine Leidenschaften auszuleben…

    Schlimm das es Menschen gibt die einfach keinen Respekt haben!!!

    Danke für den Kampf und das ihr mit euerer Leidenschaft auch Menschen glücklich machen könnt

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