Ein paar Fakten zwischendurch …

Die Übersetzung eines Artikels zu einer vergleichenden Studie zur Prostitutionsgesetzgebung in den Niederlanden und Österreich: Bei unseren Nachbarn läuft nämlich genau derselbe Blödsinn ab wie hier.

UMFANG ZWANGSPROSTITUTION ARG üBERSCHÄTZT

Es wird in den Medien regelmäßig suggeriert, Prostituierte in den Niederlanden würden mehrheitlich unter Zwang arbeiten. Vertieft man sich jedoch in die Faktenlage, findet man heraus, dass der Prozentsatz mindestens zehnmal niedriger sein dürfte als die völlig absurde, häufig genannte Annahme von 80 Prozent.

Es war die ehemalige sozialdemokratische Amsterdamer Stadträtin Karina Schaapman, die Mitte des letzten Jahrzehnts als erste wiederholt in den Medien behauptete, drei Viertel der Prostituierten würde unter Zwang von Zuhältern ihrer Arbeit nachgehen. Die Forschungsarbeit, auf die sie sich bezog (Bovenkerk), behauptete jedoch, dass hinter der Mehrzahl der Frauen im Wallen-Viertel zuhälterähnliche Figuren steckten. Eine Anzahl derer würde unter Zwang arbeiten.

Trügerischer Schein

So schien Schaapman recht zu bekommen, als kurz nachher unversehens der „Trügerischer Schein“-Bericht an die Öffentlichkeit geriet. Laut Inspektoren würden mindestens 50 bis 90 Prozent der Fensterprostituierten unfreiwillig arbeiten, so der Bericht. Eine höchst unwahrscheinliche Annahme, da bei Anzeichen von Menschenhandel die Kripo aufgrund des absoluten Durchlassverbotes dazu angehalten ist, unverzüglich einzugreifen. Nicht wurde aber hinterfragt, worauf man sich basierte, bei Schätzungen dieser Grössenordnung wird ausgegangen von einer breiteren Definition von Zwang, worunter auch „Zwang der Umstände“ fällt.

Hier fehlt leider der durchaus wesentliche Kritikpunkt, dass vom Trügerischer Schein-Bericht selber darauf hingewiesen wird, eine nicht näher offengelegte Anzahl jener Inspektoren hätte nicht die dazu erforderliche Ausbildung absolviert.

In einem umfangreichen Kapitel in ihrem vorletzten Bericht wies die Nationale Menschenhandelsbeauftragte auch auf ein solches sich zurechtbasteln von Zahlen und Definitionen hin. „Daher gibt es auch viele unterschiedlichen Schätzungen (teilweise aufgrund unterschiedlicher verwendeten Definitionen), die den Freiraum bieten, jene Schätzung zu ‚wählen‘, die einem am besten passt.“, so heisst es im Bericht.

Unglaubwürdige Dunkelziffer

Auch die Jahresberichte des Koordinationszentrums Menschenhandel legen nahe, dass solche Schätzungen völlig unrealistisch sind. Fast sämtliche Berichte entstammen der Kripo, dem Grenzschutz und dem Gewerbeaufsichtsamt, die schon beim geringsten Anzeichen von Menschenhandel dazu angehalten sind ein potenzielles Opfer zu melden. 2012 betraf es 1069 mögliche erwachsene weibliche Opfer, ungefähr 4 Prozent der in unserem Land tätigen Prostituierten.
Wiederholt wird behauptet, die tatsächliche Opferzahl müsse weit höher liegen, weil die Angst vor Repressalien die Frauen davon abhält Anzeige zu erstatten. Im legalen Bereich werden Sexarbeiterinnen andauernd auf die Möglichkeit hingewiesen, von etwaigen Vorkommnissen anonym Meldung zu machen. Damit wird die Kripo eingeschaltet, ohne dass eine weitere Zeugenaussage erforderlich ist. Unter Hunderten von Anzeigen bleibt die Anzahl solcher anonymen Meldungen trotzdem äusserst gering.

Sogar vom harten Kern der Opfer in den Betreuungsanstalten erstattet fast jede Person Anzeige. Hier kann man sich auch entschliessen, nicht zu kooperieren beim Gerichtsverfahren, ohne dass dies Folgen für die Aufenthaltserlaubnis mit sich zieht. Jährlich nutzen weniger als fünf Opfer(!) diese Gelegenheit, woraus hervorgeht, dass Angst vor Repressalien nach unter Zwang verbrachter Zeit bei einer etwaigen Anzeige kaum eine Rolle spielt. Es macht die Anwesenheit einer hohen Dunkelziffer an Opfern äusserst unglaubwürdig.

Wissenschaftliche Forschung

Durchaus aber ist Zwangsprostitution in unserem Land ausführlich erforscht worden. So kam der WODC mit einer umfangreichen Auswertung der Aufhebung des Bordellverbots. Die Schlussfolgerungen waren gemäßigt positiv. Im Regioplan-Teilbericht wurden 354 Prostituierte aus dem legalen Bereich ausgiebig in neutraler Umgebung befragt. Keine Anzeichen von Menschenhandel wurden wahrgenommen. Acht Prozent – und nicht 75 Prozent, wie von der ehemaligen sozialdemokratischen Abgeordneten Hilkens behauptet – zeigte an, zunächst fremdbestimmt ins Gewerbe hineingeraten zu sein.

In einer Forschungsarbeit für Platform 31 kam Professor Hendrik Wagenaar zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Knapp 10 Prozent der legal tätigen und ansonsten selbstsicheren Prostituierten hätten sich jemals inakzeptablen Arbeitsbedingungen aussetzen müssen.

Eine Arbeitsgemeinschaft von Wissenschaftlern und Kripo erforschte Zwangsprostitution in Massagesalons, die sich als kaum existent herausstellte. Kritik an der Politik in beiden Studien wurde von behördlicher Seite unverfroren ignoriert.



Schädliche Zerrbilder

Wer die Falschmeldungen durchschaut und sich keine Zahlen, Fakten und Definitionen zurechtbastelt, kann lediglich schließen, dass höchstens 8 Prozent der Prostituierten in unserem Lande unter irgendeiner Form von Zwang durch Drittpersonen arbeitet. Das Zerrbild ist auf jeden Fall schädlich, weil es die Behörden mit einer Politik davonkommen lässt, die sich sowohl auf lokaler als nationaler Ebene bei der Bekämpfung des Menschenhandels nachweislich kontraproduktiv auswirkt.

Zum Dessert ein paar druckfrische Zitate vom LKA NRW (Lagebericht 2012) – wer sich schonmal in Läden in NRW herumgetrieben hat, weiss, dass das dort das Mekka der Billigpuffs ist, schlimmer wird’s also auch woanders nicht:

Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung
Lagebild Nordrhein-Westfalen 2012

Anzahl der Verfahren trotz hoher Kontrolldichte in NRW erneut rückläufig.

Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes auf die Situation von Menschenhandelsopfern nicht erkennbar.

[…] Die erfolgreiche Eindämmung von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und seiner Ursachen ist [aber] weitgehend von nicht durch die Polizei zu beeinflussenden Faktoren abhängig. Generell dürften Maßnahmen zur Linderung wirtschaftlicher Not und Verbesserung aussichtsloser Lebenssituationen der Opfer in den Herkunftsländern (z. B. im Bildungswesen) am ehesten geeignet sein, junge Frauen vor den Versprechungen von Schleusern und Menschenhändlern zu wappnen. Hierzu sind in erster Linie Maßnahmen auf europäischer Ebene erforderlich.

Und derweil einigt sich die Koalition auf strafrechtliche Maßnahmen gegen Freier, die die Dienste von „Zwangsprostituierten“ in Anspruch nehmen.

Wer von euch also auf die Vergewaltigung von im Keller angeketteten, weinenden jungen Bulgarinnen steht: Macht schnell, bevor das neue Gesetz durchkommt, noch dürft ihr!

Sorry. Manchmal könnte man wirklich an dieser Gesellschaft verzweifeln …

4 Kommentare:

  1. Der Lagebericht des LKA-NRW 2012 ist eine Wohltat,

    solche als objektiv einzuschätzenden Berichte sollte es mehr geben!

  2. Und wer darf definieren, was „Zwangsprostituierte“ sind? Ist dann nicht jeder Gast ’schuldig‘, wenn auch der „wirtschaftliche Zwang“ mit eingerechnet wird? Öffnet das nicht Tür und Tor für behördliche Willkür? Oder gibt es da wenigstens noch Kriterien? Oder ist diese Einigung noch nicht als realistisch zu betrachten?

  3. Übrigens, falls die Übersetzung von dir ist, Undine, dann vielen Dank für die Mühe und den Zeitaufwand!

  4. Die Übersetzung ist nicht von mir, mein Niederländisch ist unterirdisch. 😉

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