„Schon wieder ein Proband, der nicht kommt – und nicht mal absagt! Diese Unzuverlässigkeit macht mich wahnsinnig! Wie sollen wir denn da planen?“
Meine Chefin, Professorin Undine de Rivière, blättert sichtlich genervt durch die Papiere auf ihrem Klemmbrett. Sie hat recht, die „No-Show“-Rate für dieses spezielle Projekt ist jenseits von allem, was wir bisher erlebt haben. Seit gut einem Jahr assistiere ich ihr in ihrer Forschung; mit der Terminkoordination, Transkriptionen, und am wichtigsten: Begleitung der Teilnehmenden durch den Prozess. Undine beforscht menschliche Lust, ganz speziell: Lustblockaden, ihre Entstehung und mögliche Varianten, sie wieder zu lösen. Ein unglaublich spannendes Thema, das viele Menschen betrifft, auch Studierende. Die sehen die Teilnahmeausschreibungen fürs Projekt in der Uni, fassen sich ein Herz, bewerben sich – doch kommt der Termin, verlässt anscheinend viele wieder der Mut.
Meine Rolle ist es eigentlich, sie durch den Termin zu begleiten und ihnen die Nervosität zu nehmen. Ich bin selbst immer wieder überrascht, wie gut das funktioniert, wo ich selbst über meine Sexualität, Gelüste und Fantasien sehr zugeknöpft bin. Aber ich scheine aus meiner Person heraus eine beruhigende Wirkung zu haben. Nur – damit sich diese entfalten kann, muss die Person auch erscheinen.
„Würdest Du nochmal gucken, bitte? Nur um sicher zu sein“, fragt mich Undine. Ich lächle sie bejahend an, stehe auf – und hoffe, ich kann das Erröten unterdrücken, das mir durch die Wangen fährt. Durch die Bewegung verrutscht meine Unterwäsche… und heute trage ich sehr spezielle Unterwäsche. Eines meiner sehr persönlichen Geheimnisse ist eine Faszination für Latex. Die habe ich schon länger (rückblickend fing es damit an, dass ich zuhause gerne den Putzdienst übernommen habe, nur um die entsprechenden Handschuhe tragen zu dürfen) – aber erst seit Kurzem ziehe ich bewusst Konsequenzen aus dieser Faszination. Zum Beispiel genau jetzt: In Form eines transparenten, Rüschen versehenen, Windelhöschen, das ich unter meiner normalen Kleidung trage. In meinen Fantasien bin ich auch mal von Kopf bis Fuß eingehüllt und unbeweglich, wohlwollende Hände streicheln mich überall. In der Realität reicht es dann für diesen kleinen, privaten Kink.
Ich würde im Leben niemanden damit ungefragt behelligen. Und dennoch kann ich manchmal nicht anders, als für die Arbeit ins Windelhöschen zu schlüpfen. Mich reizt die Ausweglosigkeit. Wenn ich das Latex anziehe, einen ordentlichen Schuss Öl beigebe, der sich im Höschen verteilt – dann habe ich leider gar keine andere Wahl, als bis zum Feierabend dieses gute, glatte und streichelnde Gefühl „auszuhalten“, will ich keine Spuren in meiner Kleidung wiederfinden. Und wie Undine mich nun auf den Flur schickt, um die Wartezimmer, die Toiletten und Nachbarräume abzuklappern, auf der Suche nach einer verlorenen Studentin oder einem Studenten, ist jeder Schritt ein Streicheln, der mich noch mehr lächeln lässt.
„Keine Spur“, sage ich bedauernd, als ich zurück ins Behandlungszimmer komme und mich auf die Liege setze. Wieder rutscht das ölige Latex. Wieder erröte ich. Undine schenkt mir einen Blick, den ich nicht ganz einzuordnen weiß. Ein verhaltenes Lächeln, versteckt hinter der Professionalität ihrer Rolle. Ahnt sie etwas? Nein. Sicher nicht. Ich versuche, mich abzulenken und gehe zurück zum Problem: Wieder ein geplatzter Termin.
„Es tut mir leid, Undine, ich kann gerne noch einmal darüber nachdenken, was wir tun können, damit die Menschen, die sich anmelden, auch kommen. Was ich bisher an Unterstützung biete, scheint ja nicht richtig zu helfen.“
Sie schüttelt energisch den Kopf. „Du machst jetzt nicht dich für anderer Leute Abwesenheit verantwortlich! Ich habe sowieso das Gefühl, dass Du viel zu viel arbeitest. Täusche ich mich?“
„Oh – es kann sein, dass ich etwas viele Stunden zuletzt gemacht habe, ja.“
„Das dachte ich mir. Ich weiß deine Hilfe sehr zu schätzen, du machst tolle Arbeit in diesem Projekt, aber wir müssen auch darauf aufpassen, dass Du dich entspannst!“ Undine hebt Zeigefinger und Augenbraue und schenkt mir einen halb scherzhaften, halb ernsten, tadelnden Blick. Ich merke, wie ich wieder erröte. Was sie deutlich amüsiert. Was mich wieder erröten lässt. Ich versuche, mich zu sammeln, aber Undine lässt mich noch nicht vom Haken.
„Was machst du eigentlich, um Entspannung zu suchen? Wie machst du deinen Kopf frei, von allem, was bei dir so geschieht?“
„Meinst Du sexuelle Formen von Entspannungen?“, frage ich unwillkürlich. Ihre Augen funkeln. Jetzt habe ich von mir aus signalisiert, dass ich in die sexuelle Richtung gedacht habe, wird mir klar.
„Wenn Du dich damit wohl fühlst, darüber zu sprechen“, sagt sie, einladend.
Ich erröte weiter. „Ich fühle mich damit wohl. Ich kann es nur nicht so gut. Ich habe schon mehrfach gedacht, ich könnte bei deiner Forschung auch selbst gut von den Ergebnissen profitieren.“
Sie beugt sich vor, weiter lächelnd, neugierig. Sie möchte, dass ich fortfahre. Und ich spüre, wie meine Verteidigungsmechanismen bröckeln. Je verlegener ich werde, umso leichter fällt mir das Sprechen, seltsamerweise. „Mir bereiten Dinge Lust, die mir wirklich peinlich sind, auszusprechen“, sage ich schließlich, und fühle das rutschige Windelhöschen. „Und für meine Entspannung suche ich ziemlich ungewöhnliche Fantasien auf. Willst Du die wirklich hören?“
„Unbedingt!“, sagt sie und ihr Blick hält mich fest. „Allein, weil ich doch sicherstellen muss, dass Du genug Ausgleich findest. Da möchte ich dir gerne bei helfen. Und wie du weißt: Ich nehme die Schweigepflicht sehr ernst. Das bleibt alles unter uns.“
Ich hole Luft. „Also gut. ‚Im richtigen Leben‘, Beruf und privat, unterstütze ich gerne andere. Ich freue mich, wenn ich anderen helfen kann. Ich fühle mich gut, wenn Du meine Unterstützung wertschätzt, und wenn ich merke, dass unsere Probandinnen und Probanden von mir profitieren. Mit meinen Freundinnen und Freunden ist es genauso. Ich bin wahnsinnig gerne für andere da. Und hätte ich aktuell einen Partner, wäre das in der Beziehung auch nicht anders.“
Mir fällt es schwer, beim Sprechen den Blickkontakt zu halten. Als ich Undine jetzt ansehe, ist sie gänzlich fokussiert auf mich. Sie folgt meinen Worten, nickt und ermuntert mich, weiterzusprechen. Langsam werde ich gelöster.
„Wenn ich mich… entspanne, suche ich Fantasien auf, in denen ich das alles nicht kann. In denen ich keine Agenda habe, mich mit anderen zu beschäftigen – weil ich hilflos bin, fremd kontrolliert, und ich nicht mal entscheiden kann, was um mich geschieht und wie ich mich fühle.“
Mein Gesicht glüht, als ich das sage. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich beim Sprechen die Augen geschlossen hatte. Ich öffne sie, schaue zu Undine. Sie zeigt weiter ihr zugewandtes, einladendes Gesicht. Kein Ausdruck von Schock, Ablehnung, Amüsement. Dafür freundliches Interesse. Für einen Moment kann ich sogar Blickkontakt halten, als ich weiterspreche.
„Ich stehe im Zentrum der Aufmerksamkeit, in diesen Fantasien. Freundliche Menschen fühlen Lust, weil sie sich um mich kümmern. Was ich… genieße und mich gleichzeitig sehr verlegen macht. Und dann wird es noch etwas… verruchter? Ich werde eingesetzt, für den Lustgewinn anderer. Aber ich kann selbst kaum etwas tun. Ich werde einfach benutzt.“
Dann kann ich sie nicht mehr ansehen, ich spreche zu einem Punkt an der Decke.
„Doch ich fühle mich faul dafür, mir so etwas zu wünschen, es kommt mir verboten vor, mir solche Fantasien auszumalen – und gleichzeitig habe ich eine trotzige Stimme in mir, die sagt, ‚es muss doch wenigstens einen Ort geben dürfen, wo Du dir keinen Druck machst und dir die Erwartungen der anderen mal egal sein können.‘ Und wenn ich das ganze im Kopf lange genug gedreht und gewendet habe, schaffe ich es entweder, in die Fantasie ganz einzutauchen – und finde die ‚Entspannung‘ – oder ich hab es erfolgreich verkopft und ich gehe stattdessen duschen“, sage ich lachend, und Undine stimmt ein. Ein Klang, der mir wieder ein Stück Anspannung nimmt – und doch fühle ich mich immer noch übergriffig, weil ich all das gegenüber meiner Chefin aufgeblättert habe.
„Es tut mir leid, das war jetzt bestimmt viel, viel detaillierter als Du es hören wolltest.“
„Nein, keinesfalls, entschuldige dich nicht!“, sagt Undine, kopfschüttelnd. „Ich danke dir für dein Vertrauen, das alles mit mir zu teilen. Ich merke, das fällt dir nicht leicht.“
Ich nicke nur. Undine mustert mich für einige lange Sekunden mit einem durchdringenden Blick, bei dem ich weiche Knie bekomme. Dann breitet sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. „Da machen wir eine große Ausschreibung, haben so großen Aufwand dabei, Teilnehmende zu finden – dabei hatte ich das beste Forschungsobjekt anscheinend die ganze Zeit vor meiner Nase sitzen“, sagt sie halb zu sich selbst, halb zu mir. Aus dem Lächeln wird ein Grinsen, das ich noch nie bei ihr gesehen habe. Es hat etwas Schalkhaftes, und doch Raubkatzenartiges an sich. Langsam spricht sie weiter.
„Wir hatten den ganzen Nachmittag für den Probanden geblockt. Was hältst Du davon, wenn wir die Zeit nutzen, um dir zur Entspannung zu verhelfen? Und vielleicht… deine Fantasien weiter zu erforschen? Sie ein Stück weit, real werden zu lassen?“
Ich bin einen Moment sprachlos. Wenigstens erröte ich nicht noch weiter – aber auch nur, weil es nicht noch röter geht. Und wieder stelle ich fest, dass ich die Verlegenheit genieße, in die Undine mich manövriert. „Das wäre toll“, sage ich etwas tonlos. Weil ich die Situation nicht fassen kann. Undine möchte mich in die Realisierung meiner Fantasien führen…? „Bist du dir sicher?“, frage ich schließlich. „Es sind sehr… besondere Dinge, die ich mir wünsche. Fühlst du dich wohl damit?“
„Ich bin mir sicher“, antwortet sie, während sie aus ihrem Sessel aufsteht, und sich neben mich setzt. Ihre Hände legen sich auf meine Schultern, drücken sie nieder, in die Entspannung. „Und ich freue mich, dass ich dir helfen darf, diese besonderen Dinge zu erkunden. Danke für dein Vertrauen. Und nun: Schließe deine Augen. Versuche dich, zu entspannen. Ab jetzt hast Du nichts mehr zu entscheiden.“
Ich folge Undines Worten. Zum ersten Mal bin ich auf der anderen Seite der Couch, normalerweise würde ich jetzt den Raum verlassen. Doch jetzt bin ich die Person, die hier sitzt und Undines Präsenz spürt. Die spürt, wie ich trotz aller Verlegenheit und Anspannung ruhiger werde.
Und als ich mich wenig später in noch tiefere Entspannung fallen lasse, wird mir klar, dass jetzt nur noch wenig fehlt, bis Undine mein Geheimnis der besonderen Unterwäsche entdeckt. Doch da sinke ich auf ihr Wort noch tiefer ein in die weiche Umgebung – und habe keine Kapazität mehr, um mir über ihre Reaktion Sorgen zu machen. Ihr wird schon was einfallen, was man damit Schönes tun kann…
Hinter dem Vorhang
Liebe Leser*innen,
vier Seiten. Vier Seiten war meine Anfrage an Undine lang, um ihr dieses Szenario vorzuschlagen. Ich habe ihr vor allem meine Person vorgestellt, meine Wünsche und Fantasien in den Rahmen dieses Rollenspiels gesetzt und schließlich eine kleine Einordnung gegeben, welche Praktiken ich spannend fände. (Der Teil war dabei der Kürzeste, weil ich noch recht grün hinter den BDSM-Ohren bin.)
Für mich war ein Rollenspiel wichtig, in dem ich als Person mit all meinen Seltsamkeiten gewertschätzt werde. Ich habe mir einen Raum gewünscht, in dem ich meine Masken und Verteidigungen abbauen kann und mir jemand hilft, zu öffnen, zu erleben, wie gut es sich anfühlen kann, komplett in wilde Fantasien einzutauchen – befreit von sozialen Zwängen, als pure, lustgesteuerte Person.
Ich war bis zur Session unsicher, ob meine Erwartungen vielleicht zu groß waren. Denn die Komplexität aus Rollenspiel und diesen Wünschen für meine Person muss von Undine zusammengebracht werden, in einer Session, in der dann auch sie als Person noch stattfinden muss. Ich hätte mich nie zu einer solchen Anfrage getraut, gäbe es nicht zahlreiche Hinweise auf dieser Seite und an anderen Orten, an denen Undine sich äußert, und sagt, dass sie sich auch gerne auf Komplexität einlässt. Dieser Blogbeitrag ist eine wortreiche Ausführung meines persönlichen Eindrucks, der kurz zusammengefasst auch lauten kann: Holy fuck, ja. Das tut sie.
Nicht nur hat meine Rollenspielidee in Undines Händen ein fast beängstigendes Eigenleben entwickelt (Undine ist als wertschätzende, neugierige, dabei lustorientierte Professorin sehr überzeugend) – aber ich habe mich tatsächlich vom ersten Moment, wie ich durch die Tür kam, sicher gefühlt. Ich musste nichts darstellen. Ich konnte wirklich all die obskuren Elemente meiner Lust, sowie die Sorgen, die mich umtreiben, vor Undine ausbreiten und sagen, „Spiel damit. Ich vertraue dir.“
Spätestens, als ich wenig später nichts mehr, absolut gar nichts mehr tun konnte, außer vor Glückseligkeit in ein Kissen zu quietschen, war klar: Dieses Vertrauen war bei der richtigen Person gelandet.
Danke, Undine.
Wow, das war einfach schön zu lesen. Vielen Dank für diesen ausführlichen Bericht, und auch für den Blick hinter den Vorhang!
Die Sache mit dem Vertrauen finde ich sehr zutreffend und wichtig, gerade für Menschen, die noch neu in BDSM-Dingen sind.